Rolf Appel
Schriftsteller
geboren 1920
Loge „Die Brückenbauer“ i.O. Hamburg
Freimaurerei und Literatur
Stets haben sich Freimaurerei und Literatur wechselseitig beeinflusst. Immer wieder haben Freimaurer das, was sie während der rituellen Arbeiten ihrer Logen erlebten, was sie anregte, innerlich bewegte und was sich in ihnen zum Ausdruck formte, niedergeschrieben und veröffentlicht.
Andererseits haben sich freimaurerische Autoren mit Wesen und Geschichte der Freimaurerei befasst. So hat die von Historikern nicht ausreichend erfasste Frühgeschichte dieses Männerbundes immer wieder Anlass gegeben, auf eigene Faust und oft mit nur ungenügenden Kenntnissen sich aufzumachen, um neue Erkenntnisse aufzudecken oder auch nur gutgemeinte Mutmaßungen zu verbreiten. Wiederum galt es oftmals, auf feindselige Äußerungen und die Verbreitung von Vorurteilen zu reagieren und die Freimaurerei in Schutz zu nehmen und unberechtigte Verdächtigungen zurückzuweisen.
Schließlich verlangte die von der diskreten Gesellschaft der Freimaurer ausgeschlossene Öffentlichkeit Aufklärung und Information über Absichten und Wirkungsweise dieser Männer-Vereinigung.
Das alles hat immer wieder Mitglieder des Bundes veranlasst, zur Feder zu greifen und schriftlich festzuhalten, was dem jeweiligen Autor besonders am Herzen lag. Gerade diese Liebe zur Sache bei den zahlreichen Schreibern macht es denjenigen, die ernsthaft über Freimaurerei arbeiten wollen, so schwer, die vielfach vorhandenen Materialien auf ihren Wert zu prüfen und zu beurteilen, welche Schriften für die eigene Forschungsarbeit denn nun rechtens sind und welche Schriften nicht den gestellten Anforderungen entsprechen.
Darüber hinaus hat der zu allen Zeiten in den Logen entwickelte Reichtum an ethischem Gedankengut schriftstellerisch Begabte veranlasst, davon möglichst viel und möglichst intensiv in die Öffentlichkeit zu tragen, in dem Bewusstsein, auf diese Weise etwas für die Gesellschaft Wertvolles zu tun. Ich nenne als Beispiele Lessings dramatisches Gedicht „Nathan der Weise“ und Goethes „Faust“, oder aus der neueren Zeit Alexander Gieses Roman „Licht der Freiheit“ oder „Spiegelsäule“ von Rolf Appel.
Richtig vom Rituellen her aufgenommene Freimaurerei drängt geradezu danach, in die Nachbarschaft des einzelnen Bruders oder in die Öffentlichkeit des freimaurerischen Schriftstellers zu wirken.
Freimaurerei hat sehr viel mit dem Schreiben zu tun, weil das Schreiben mit der Kultur der Freiheit zusammenhängt. Schreiben ist eine einsame Tätigkeit. Vor sich das in die Maschine eingespannte Papier, ist es unumgänglich, sich vom unmittelbaren Leben zu isolieren und in die Innenwelt der Erinnerung zu dringen, der Sehnsucht, der Intuition und dem Instinkt nachzuspüren, jener Elemente, von denen sich die schöpferische Fantasie nährt. Ich weiß nicht, ob es allen Schriftstellern so geht, aber in meinem Fall ist es so, dass ich noch so sehr nach Klarheit streben kann, eine rationale Kontrolle über die Geschichte und ihre Personen zu bewahren, nie kann ich eine gewisse Dunkelheit vermeiden, die dem Schreiben im Augenblick der Schöpfung wie ein Schatten anhaftet. Das hat auch mit dem Ringen nach dem allein richtigen Satz mit den allein richtigen Wörtern zu tun, und doch bleibt immer ein Unergründliches, ein Geheimnis, wie dieses auch der Freimaurerei anhaftet. Dieses Element, das unwillkürlich aus dem verborgensten Innern des Schriftstellers hervortritt, färbt dann die Geschichte, die man schreibt, in besonderer Weise, stellt zwischen den geschilderten Personen Beziehungen her, die bisweilen – und gänzlich ungewollt – die bewusste Absicht auf subtile Weise verkehren.
Manche Schilderung erhält dann einen Symbolismus, der in manchen Fällen nicht nur von der eigenen Idee abweicht, sondern ihr überraschend widersprechen kann. Denn im Augenblick des Schreibens besitzt ein Schriftsteller etwas mehr als Intelligenz, Ratio, Ideen. Es ist jener Schattenbereich unserer Persönlichkeit, den unser Tagesbewusstsein unterdrückt oder ignoriert. Im schöpferische Prozess, dem viel Magisches innewohnt, setzt sich oft etwas durch, was bisher nur oberflächlich und reduziert vorhanden war. Aber das Schreiben stellt nicht nur dar, sondern orientiert sich stets – wenn es glaubhaft sein will – an der Wahrheit.
Wer ernsthaft das Schreiben als harte Arbeit betreibt, der muss bewusst machen, dass Literatur Feuer ist, das sie Abweichung vom Üblichen und Gewohnten ist, dass sie Rebellion bedeutet, dass die raison d’être des Schriftstellers der Protest, der Widerspruch, die Kritik ist. Wer wirklich ernsthaft schreibt, der kennt keinen Mittelweg, keinen Kompromiss. Der Schriftsteller muss das Wagnis eingehen, als ein unbequemer Störenfried ausgegliedert zu werden.
So laufen die Dinge. Niemand, der mit der Wirklichkeit einverstanden, mit ihr versöhnt ist, würde sich zu der ehrgeizigen Ungereimtheit versteigen, sprachliche Wirklichkeiten zu erfinden. Die literarische Bestimmung eines Schriftstellers entsteht aus der fehlenden Übereinstimmung mit seiner sozialen Umwelt, aus der unmittelbaren Erkenntnis der Mängel in seiner Umgebung.
Das ist nichts Neues, das ist schon in den Märchen vorhanden. Die Literatur mag verboten werden, aber sie wird niemals konformistisch sein. Nur wenn sie diese Bedingung erfüllt, nützt die Literatur der Gesellschaft, trägt sie zur Vervollkommnung der Menschen bei. Und an diesem Punkt läuft die Literatur – nicht die, die nur unterhalten will – parallel zu den Bestrebungen der Freimaurer: Die Umwelt aufwecken, ändern und verbessern.
Wenn ein Schriftsteller in dem Sinne seiner inneren Berufung treu bleibt, dann kämpft er gegen geistigen Stillstand, gegen Selbstgefälligkeit, gegen Erstarrung und Lähmung, vor allem gegen Zwang. Literatur muss agitieren, beunruhigen, alarmieren, die Leser in Unzufriedenheit mit sich selbst versetzen, sie zumindest zur Selbsterkenntnis heranführen. Der Schriftstellerarbeitet daran, dem Leser einen Spiegel über sich und die Verhältnisse vorzuhalten, ohne dass dieser etwas von dem Spiegel merkt.
Jeder Kompromiss, etwa, um die Gunst des Publikums oder gar staatlicher oder finanzieller Kräfte zu erlangen, ist seitens des Schriftstellers ein Verrat. Nicht anders als gestern, so auch heute und morgen müssen Schriftsteller auch in der neuen Gesellschaft nein sagen, rebellieren, fordern, dass ihr Recht auf Abweichung akzeptiert wird, müssen sie auf jene lebendige magische Weise, wie nur die Literatur dies vermag, aufzeigen, dass Willkür, Dogmatik und Zensur Todfeinde des Fortschritts und der Menschenwürde sind. Schriftsteller müssen auf ihre oft symbolische Weise darauf hinwirken, dass das Leben weder einfach, noch in Schemata zu pressen ist. Sie müssen mit ihren Büchern immer wieder Zeugnis ablegen von der fundamentalen Komplexheit und Vielfalt der Welt, von der so widersprüchlichen Vielfalt aller menschlichen Dinge, die der Schreibende nicht einengen, nicht auf ein vorgegebenes Maß zuschneiden darf, sondern denen er den weitesten Spielraum einräumen muss. Und damit ist die Arbeit des Schriftstellers dem Wollen und Wirken eines die Freimaurerei auslebenden Bundesbruders gleich.
Freimaurerei ist international, stellt sich als eine Kette rund um die Welt dar, in der alle Glieder das Verlangen nach Menschenrecht, Freiheit und Verbrüderung haben. Dem steht die nationalistische Kultur entgegen in der der Untergang des freien Schriftstellers beschlossen liegt. Wir brauchen nicht lange zu suchen, um in der Kulturgeschichte derartige Entwicklungen aufzuspüren. Die kirchliche Inquisition – nicht nur die römisch-katholische – bekämpfte nicht allein den Andersgläubigen, sondern auch die Ergebnisse freien Schöpfertums. Und dann denken wir an Hitlers Deutschland, an Mussolinis Italien, an Francos Spanien, an Stalins Sowjetunion, an Maos China, nicht zuletzt an die Kultursteuerung in der Deutschen Demokratischen Republik: überall wurde ein kultureller Nationalismus verlangt und gefördert. Die Diktatoren versuchten, eine nach außen abgeschlossene, nicht durch fremde Einflüsse „verunreinigte“ Kultur zu schaffen, die durch Zensurmaßnahmen vor dem grenzüberschreitenden Begegnen der Kulturen „schützen“ sollten.
Diesem kulturellen Nationalismus begegnen wir heute ganz besonders in der Dritten Welt, wo man meint, die eigenen Kulturgüter müssten vor dem gierigen Kapitalismus geschützt werden. Diese Schützabsicht bedeutet aber immer zugleich auch Unterdrückung des schöpferisch Tätigen, besonders des Schriftstellers.
Genauso wie die Freimaurerei die Menschen einander näher bringen und verbrüdern will, so sieht auch der Schriftsteller seine Aufgabe darin, auf das menschlich Verbindende hinzuweisen und die ausgebreiteten Arme der Menschen deutlich zu machen, die sich nach Versöhnung ausstrecken, nach Versöhnung und einem Miteinander-vertraut-Werden. Und gerade auch in der Beziehung ist der Schriftsteller dem auf das Ausleben seines Freimaurertums bedachten Mann auf das innigste verwandt, verbrüdert.