P. Günter Strauss
Biologe

geboren 1946

Loge „Lessing zum flammenden Stern“
i.Or. München

Kunst in der Freimaurerei

Die Aufbauarbeit an einer humaneren Welt (versinnbildlicht durch den salomonischen Tempelbau) ruht für Freimaurer auf den Voraussetzungen Weisheit (die den Bau leiten sollte) und Stärke (die für die Durchführung gebraucht wird). In der Freimaurerei wird noch eine dritte Voraussetzung genannt: Schönheit, sie soll das Werk vollenden.

 

Es ist nicht ohne weiteres ersichtlich, warum der Schönheit ein so hoher Stellenwert eingeräumt wird, und warum der Bau der Humanität ohne „Schönheit“ unvollendet, damit für den eigentlichen Zweck unbrauchbar sein soll. Denn ein Bau muss nicht „schön“ sein, um seinen Zweck zu erfüllen. Und was heißt schon „schön“? Ist es die äußere, die aufgesetzte Stuckatur, eine Malerei und lässt sich nicht über solche „Schönheit“ geteilter Meinung sein? Also, etwas Verzichtbares, etwas, was wir uns nur im Überfluss leisten können? Oder ist mit Schönheit die Architektur gemeint, die die Funktionen des Baus in Form umgesetzt hat? Aber, meint eine solche Schönheit nicht eher die Weisheit, die den Bau konzipiert?

 

Nein, ich glaube, mit Schönheit ist gemeint, dass während des Baus, und das trifft zuallererst für eine Arbeit im Tempel zu, ein Ereignis stattfinden muss, das die daran Beteiligten ergreift, und dadurch erst dem Bau Leben  einhaucht. Am symbolischen Bau, d.h. bei einer Arbeit im Tempel, ist dies (für Freimaurer) leicht nachvollziehbar: ein wesentliches Mittel der Freimaurerei ist es, ein Erlebnis für die Beteiligten zu gestalten, das möglichst einen jeden ergreifen sollte, so dass der „Plan“ des Baus erkannt und verinnerlicht wird. Ein solches Erlebnis wird, da es nicht durch die dem Menschen umgebende Natur hervorgerufen, als künstlich bezeichnet, d.h. von Menschen gestaltet mit dem Zweck, dass andere Menschen davon berührt werden.

 

Die Freimaurerei wird bisweilen „die königliche Kunst“ genannt; ein Ausdruck, der mir unverständlich ist. Für mich gibt es keine Kunst, die nur für Könige wäre, und keine Kunst kann sich über andere Künste erheben zu etwas Besserem, nämlich der „königlichen“ Kunst (zumal sich gerade die Freimaurer auf „gleicher Ebene“ begegnen). Es kann nur eine Kunst geben. Aber wir sehen, wie nahe das freimaurerische Erlebnis dem Begriff „Kunst“ steht: ein Erlebnis für die Beteiligten zu gestalten, das möglichst jeden ergreifen sollte. Was anderes soll bei einer Tempelarbeit stattfinden, wenn nicht Kunst?

 

Was sonst soll Kunst sein? Kunst ist doch nicht ein Gegenstand an der Wand! Oder Töne in der Luft! So lange es keinen Menschen gibt, der von einem künstlichen Gegenstand, einer Tonfolge, auf irgendeine Weise ergriffen wird, findet keine Kunst statt. Kunst ist persönlich, subjektiv, aber auf keinen Fall das „Werk“ eines Menschen. Dieses „Werk“ ist bestenfalls Auslöser für ein Kunstereignis. Wenn Werke eines Menschen bei vielen anderen Menschen ein Kunstereignis auslösen, so ist dieser Schaffende ein bekannter Künstler. Löst allerdings ein solches Werk bei einem anderen Menschen kein Kunstereignis aus, so handelt es sich in diesem Augenblick auch um keine Kunst, was bei vielen „Kunstwerken“ nachzuvollziehen ist, die in ihrer Zeit nicht als Kunst erkannt wurden, obwohl das identische Werk, zu anderer Zeit, sehr wohl als „Kunst“ betrachtet wurde. Nicht das Werk ist die Kunst, sondern die Kunst ereignet sich.

 

Und ein Ereignis sollte jede Tempelarbeit sein, also Kunst. Und die Arbeit ist unvollendet, wenn sich dieses Ereignis nicht einstellt, denn er Effekt der Erkenntnis, der Einprägung, fehlt. So kann das Werk nicht gelingen. Der Begriff, der für diese Kunst steht, ist Schönheit. Vielleicht, weil die Menschen unter diesem Begriff eher die positive Ergriffenheit verstehen, als unter dem abstrakteren Begriff Kunst.

 

Die Säule der Schönheit ist also kein Zierrat, sondern die wichtigste der Voraussetzungen für den Bau am Tempel der Humanität; für mich bedeutet sie:

 

Kunst.

Wir nehmen Kunst wahr
wenn wir empfänglich sind.
Darum ist Kunst dort
wo Kunst uns ergreift.

Joseph Albers (1888-1976)